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Stornohaftungsklausel – Wer anderen eine Grube gräbt

LG Hamburg (Az.: 402 HKO 79/08) entscheidet über die Zulässigkeit der „Sprunghaftung“

In einem Urteil vom 23.12.2011 hat das Landgericht Hamburg (Az.: 402 HKO 79/08) richtungsweisend über die Wirksamkeit einer „Stornohaftungsklausel“ entschieden. Die – vor allem auch wirtschaftliche – Bedeutung des Rechtsstreits ist erheblich. Während die Beklagte – die Tochtergesellschaft eines namhaften Verlages – die Rückzahlung von Provisionen für vermittelte Abonnements in 6-stelliger Höhe beanspruchte, machte die Klägerin – ein Vertriebsunternehmen im Telemarketing – eine Gegenrechnung auf. Der Verlag habe, so das Argument der Klägerin – eine Klausel zur „Sprunghaftung“ in den Vertrag aufgenommen, die unwirksam sei. Das habe zur Folge, dass der Verlag seinem Vertriebspartner Provisionen in 7-stelliger Größenordnung vorenthalten habe.

Was war passiert?

Die Klägerin (Vertriebsunternehmen) hatte für die Beklagte (Verlag) ein sog. „8 für 6“-Abo (8 Monate lesen, 6 Monate zahlen) vertrieben. Der Abonnent erhielt also die Zeitschrift 2 Monate kostenlos, zahlte 6 Monate, und nach 8 Monaten sollte ein sog. „offenes Lesen“ beginnen, das das Recht des Abonnenten vorsah, das Abonnement ohne Einhaltung von Kündigungsfristen zu beenden. Für die Vermittlung des Abonnements „8 für 6“ bot der Verlag nach eigenem Bekunden „hohe Provisionen“, – soweit so gut. Ungewöhnlich – und von den Gepflogenheiten der Branche abweichend – war allerdings die lange „Haftungsdauer“ von 27 Wochen. Wurde das Abonnement nicht mindestens 27 Wochen bezahlt, so wurde dem Vertriebspartner die gezahlte Provision zurückbelastet. Wer ein wenig rechnet, erkennt den Trick, der sich hinter dem Angebot „hoher Provisionen“ versteckt. Wenn 27 bezahlte Wochen Voraussetzung dafür sind, dass der Vertriebspartner seine Provision behalten darf, so muss der Abonnent länger zahlen, als es das Angebot „8 für 6“ vorsieht. 6 bezahlte Monate sind nämlich 25,5 Wochen. Die Mindesthaftungszeit von 27 Wochen wird nicht erreicht. Ergo: Provisionen sind nur endgültig verdient, wenn der Abonnent mit dem „offenen Lesen“ beginnt, die Zeitschrift also länger als 8 Monate (Mindestbelieferung) bezieht und auch die nächste Rechnung zahlt. Zu Beginn des Vertragsverhältnisses mit dem Verlag sprudeln die vorab gezahlten Provisionen beim Vertriebspartner, dessen Vertriebslust und Aktivitäten werden „geteasert“, aber das „Kartenhaus“ sprudelnder Provisionen bricht zusammen, wenn der Verlag nach längerer Zeit seine Gegenrechnung aufmacht. Bei inzwischen hoher Produktion sinkt der Ertrag des Vertriebspartners auf „0“, weil eine Vielzahl von Abonnenten sich nicht für das dauerhafte Abo entscheiden und deshalb neu entstehende Provisionsansprüche mit Rückzahlungsansprüchen verrechnet werden.

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen

Dem konsternierten Vertriebspartner wird an dieser Stelle erklärt, weshalb seine Produktion „schlecht“ sei. Die „guten“ Abonnements sind ausschließlich solche, die in einem Dauerbezug des Abonnenten münden. Alle anderen Abonnements seien „schlecht“, und zwar mit der Folge, dass der Vertriebspartner keine Provision verdiene, auch nicht anteilig, nicht einen einzigen Cent, obwohl der Abonnent alle Zahlungsverpflichtungen erfüllt hatte. Keine (Teil-)Provision trotz des unternehmerischen Erfolgs?

Auf den ersten Blick erscheint die Logik des Verlags verblüffend. Die Kalkulation des Abonnements ist generell so angelegt, dass sich die Kosten – folglich auch die Provisionen – erst im Laufe einer möglichst langen Haltbarkeit amortisieren. Es verwundert deshalb nicht, dass sich der Verlag vor dem LG Hamburg mit einer Art „Break-Even-Mathematik“ verteidigte. Wenn die Klägerin für die erfolgreiche Vermittlung des Abonnements „8 für 6“ eine (Teil-)Provision verlange, so stelle sie anerkannte Kalkulationen in der Branche auf den Kopf, der Verlag verdiene nicht mehr ausreichend. Mag sein, aber wann ist der „Break-Even“ erreicht? Wann verdient der Verlag „ausreichend“?

Das Argument der Beklagten verkürzt die Sicht der Dinge, denn neben der Laufzeit gibt es auch andere wertbildende Faktoren wie etwa die IVW-Fähigkeit des Abonnements, der Wert der „Adresse“ und die Chance der „Kündigerrückgewinnung“. Ein Abonnent, der 8 Monate vertragstreu ist und 6 Monate zahlt, eignet sich durchaus für die „Kündigerrückgewinnung“. Die „Schlechten“ aus dem Kröpfchen bekommt ein anderer Vertriebspartner zur Vermittlung. Aus den solchermaßen „angeteaserten“ Abonnenten werden solche, die – Ende gut alles gut – doch noch ins Töpfchen kommen.

An dieser Stelle zeigt sich die Findigkeit der Vertriebsstrategen im Verlag. Der Abonnent zahlt 6 Monate, der Vertriebspartner verdient keinen Cent. Das Risiko liegt beim Vertriebspartner, wenn im ersten Schritt kein dauerhaftes Abonnement entsteht. Scheitert das Abonnement nach 8 Monaten, kann das „Warm-Up“ des ersten Vertriebspartners von einem weiteren Vertriebspartner genutzt werden. Ergo: Doppelter „Traffic“ im Vertrieb, garantierter Teilertrag durch 6-monatige Abo-Zahlung und nur eine Provision, wenn das „Warm-Up“ erfolgreich ist.

Die Rechnung ohne den Wirt

Was da in der „Kreativabteilung“ der Vertriebstochter eines Verlags erdacht wurde, nötigt – vordergründig betrachtet – einen gewissen Respekt ab. Wie so oft macht allerdings die Rechnung ohne den Wirt, wer ausschließlich den eigenen Vorteil im Auge hat. Einen Stolperstein für das pfiffige Vertriebskonzept des Verlags hat der Gesetzgeber nämlich im Handelsgesetzbuch versteckt. § 87 a Abs. 1 S. 3 lautet: „Unabhängig von einer Vereinbarung hat jedoch der Handelsvertreter Anspruch auf Provision, sobald und soweit der Dritte das Geschäft ausgeführt hat“.

Der Satz hat es in sich, war er doch in der Lage, aus einer 6-stelligen Forderung des Verlags eine 7-stellige Forderung des Vertriebspartners zu machen, und das geht so:

Wenn der Abonnent 6 Monate zahlt, so hat der „Dritte“ (Abonnent) das Geschäft auch 6 Monate ausgeführt. Unter dieser Voraussetzung hat der Handelsvertreter einen (Teil-)Provisionsanspruch, denn er hat zumindest teilweise den unternehmerischen Erfolg herbeigeführt. Liegt der vom Prinzipal (Unternehmer) definierte wirtschaftliche Erfolg bei 27 Wochen (Haftungsregelung), zahlt sodann der Abonnent 26 Wochen, so hat der Handelsvertreter 26/27stel der (vollen) Provision verdient.

Soweit die vereinbarte Stornohaftung den Anspruch ausschließt, ist die Klausel unwirksam, denn der Anspruch auf Teilprovision besteht „unabhängig von einer Vereinbarung“ (§ 87 a Abs. 1 S. 3 HGB).

So sah es – übereinstimmend mit der Klägerin – auch das Landgericht Hamburg im zitierten Urteil und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von Teilprovisionen, wobei es feststellte, auch die von der Klägerin gewählte Berechnung sei zutreffend, denn der Teilprovisionsanspruch sei nach dem Urteil des OLG Stuttgart vom 12.03.1976 (Az.: 2 U 146/75) linear zu berechnen.

Was will „der Dichter damit sagen“?

Führt der vermittelte Vertrag zumindest teilweise zum Erfolg, muss zwingend eine (Teil-)Provision gezahlt werden. Das zitierte Urteil des LG Hamburg ist nicht rechtskräftig. Das Hanseatische Oberlandesgericht wird im Berufungsverfahren darüber entscheiden, ob der Prinzipal im Verhältnis zum Handelsvertreter frei über die Stornohaftung disponieren und den Teilprovisionsanspruch ausschließen kann. Wie die Beklagte die Klippe des § 87 a Abs. 1 S. 3 HGB nehmen will, bleibt abzuwarten. Das Problem der „Stornohaftung“ ist nicht neu (vgl. Dänekamp, Handelsvertretervertrag und Unternehmerrisiko, der neue Vertrieb 4/97, S. 30 ff.). Der WBZ (BMD) hatte Mitte der 90’er Jahre „Musterverträge“ entwickeln lassen, die „Haftungsklauseln“ vorsehen, freilich keine derart unangemessenen Regelungen zu Lasten des Vertriebspartners. Der im Rechtsstreit vor dem LG Hamburg erhobene Einwand der Beklagten, die Stornohaftung sei in der Branche üblich, der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe gar an der Entstehung der „Musterverträge“ mitgewirkt, ist deshalb nur die halbe Wahrheit. Zum einen bemühen sich die „Musterverträge“ um jene Ausgewogenheit, die Voraussetzung für eine funktionierende Kooperation im Vertriebsgeschäft ist, zum anderen wird in der Kommentierung zu den Musterverträgen das Problem der Haftungsklausel dezidiert erläutert. Wer deshalb großzügig mit Gestaltungsvorschlägen umgeht, muss schon das „Kleingedruckte“ lesen.

Autor: Franz Dänekamp, veröffentlicht in „der neue Vertrieb 10/12, S. 28 f.“

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