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Der Steuerbescheid als letzter Gruß

Werden künftig die „Bestände“ im WBZ von der Erbschaftsteuer erfasst?

Der besteuernde Staat – so meinte ein angesehener Steuerrechtsexperte – „verhält sich heute wie ein Mückenschwarm. An jeder Ecke lauern die Mücken, um den Steuerpflichtigen Blut abzuzapfen. Bürger und Unternehmen weichen deshalb ständig aus und machen die unsinnigsten Umwege, um den Steuern zu entgehen. Statt sich auf ihr wirtschaftliches Fortkommen zu konzentrieren, sind die Bürger permanent damit beschäftigt, die Mücken zu verscheuchen. Einige hat – ob der zahlreichen Stiche – bereits lähmendes Entsetzen ergriffen“ (Prof. Paul Kirchhoff auf der Pressekonferenz zur Vereinfachung des Steuersystems am 24.10.2002 in Berlin).

Das „lähmende Entsetzen“ – wie es Prof. Kirchhoff beschreibt – ist bei besserbetuchten Zeitgenossen oft nur von kurzer Dauer, denn die Attacke der Finanzminister treibt sie vorzugsweise in das Paradies der Schweizer Eidgenossen, die ihre Steuergesetze aus jenem Stoff weben, aus dem die Träume sind, freilich mit kantonalen Unterschieden, denn die Steuersätze variieren beachtlich.

Prominentes Beispiel war vor Jahren der bayerische Milch-Baron Theo Müller (Müller-Milch), der um den Bestand seines Familienunternehmens im Erbfall fürchtete und dessen Bewertung deutscher Steuergerechtigkeit kurz auf den Satz zu reduzieren sein dürfte:

„Hier werden Sie gemolken“!

Über die Frage, ob derart drastische Betrachtungsweisen nach Maßgabe des gegenwärtigen Erbschaftsteuerrechts gerechtfertigt sind, lässt sich trefflich streiten. Dem Kanzler soll jedenfalls der Appetit auf den Joghurt vergangen sein. In der teilweise ideologisch geführten Debatte wollen die einen den zunehmenden Begrenzungen der Sozialtransferzahlungen ein „gerechtes“ Gegengewicht entgegensetzen. Andere verweisen auf die ohnehin niedrige Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen und sehen das Lebenswerk vieler Erblasser gefährdet.

In diesem Beitrag geht es nicht um eine ideologische Standortbestimmung. Gegenstand dieses Beitrags ist vielmehr die Auseinandersetzung mit einer in Kürze zu erwartenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die aller Voraussicht nach zu Konsequenzen des Gesetzgebers führen wird, verbunden mit einer drastischen Verschärfung des Erbschaftsteuerrechts. Mit Beschluss vom 22.05.2002 hat der Bundesfinanzhof (BFH) dem Bundesverfassungsgericht das geltende Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht zur Prüfung vorgelegt. Der BFH vertritt u. a. die Auffassung, dass die Regelungen in § 12 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) – Bewertung des Erwerbs – sowie diverse Regelungen im Bewertungsgesetz (BewG) wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig seien. Nach Ansicht des BFH bezieht sich die Verfassungswidrigkeit insbesondere auch auf die Vorschriften zur Ermittlung des Betriebsvermögens.

Bisher haben die Erwerber von Betriebsvermögen allenfalls unterdurchschnittlich zum Aufkommen der Erbschaft- und Schenkungsteuer beigetragen. Maßgeblich dafür ist u. a. der Umstand, dass für die Bewertung des Betriebsvermögens nur die Steuerbilanzwerte von Bedeutung sind. Nicht aktiviertes Vermögen – stille Reserven etwa – wurden bisher von der Erbschaftsteuer nicht erfasst.

Zu den stillen Reserven der im WBZ tätigen Unternehmen gehören vor allem die sogenannten „Bestände“, Vermögenswerte, die in der Praxis börsengleich gehandelt werden und den eigentlichen – in der Bilanz nicht aktivierten – Wert eines WBZ-Unternehmens ausmachen.

Steuerlich werden die „Bestände“ zu Recht bilanziell nicht aktiviert, und zwar aus folgendem Grund:

Der „Bestand“ eines WBZlers besteht aus einer Vielzahl von einzelvertraglichen Belieferungsrechten, die steuerrechtlich als sog. immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens zu qualifizieren sind (BFH BStbl. 1989 II S. 830). Gemäß § 5 II EStG sind immaterielle Wirtschaftsgüter nur dann bilanziell zu aktivieren, wenn sie entgeltlich erworben wurden. Voraussetzung hierfür ist, dass ein Entgelt für den Erwerb des Wirtschaftsguts erbracht wird, das nach den Vorstellungen beider Vertragsteile eine Gegenleistung für die erlangten Vorteile darstellt (BFH BStbl. 1994 II S. 444).

In den Fällen, in denen ein Unternehmen Abonnements originär – d. h. im Wege des Ersterwerbs – selbst bzw. durch Einsatz von eigenen Mitarbeitern oder Handelsvertretern wirbt, liegt ein solcher entgeltlicher Erwerb nicht vor. Die vom Unternehmen im Zusammenhang mit dem Erwerb des Belieferungsrechts getätigten Aufwendungen (Provisionszahlungen etc.) sind nicht als Entgelt sondern vielmehr als Aufwendungen im Zusammenhang mit der Anschaffung zu qualifizieren und daher als Betriebsausgaben sofort abziehbar (BFH BStbl. II 1994 S. 444). Die so geworbenen Bestände sind daher in der vom Unternehmer zu erstellenden Bilanz nicht anzusetzen.

Exakt auf die beschriebenen stillen Reserven, für die die Bestände im WBZ ein Beispiel sind, zielt der BFH im zitierten Vorlagenbeschluss ab und vertritt die Auffassung, dass die gegenwärtig praktizierte Übernahme von ertragssteuerlichen Werten (vgl. § 109 Abs. 1 und 2 BewG) nicht dem Gleichheitsgrundsatz entspricht, weil die Erben von Betriebsvermögen in nicht sachgerechter Weise begünstigt würden, etwa durch die Möglichkeit, sich durch Bilanzierungswahlrechte „arm zu rechnen“.

Jede Beurteilung der Frage, wie und mit welcher Begründung ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht enden wird, ist in gewisser Weise ein Blick in die Kristallkugel.

Sollte aber der Vorlagenbeschluss die Zulässigkeitshürde nehmen, gehört zu den wahrscheinlichsten Varianten, dass das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgibt, die vom BFH monierte Ungleichheit bis zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt zu beseitigen. Wer dabei allerdings spekuliert, der Gesetzgeber werde sich im Gestrüpp des zeitraubenden Willensbildungsprozesses im Parlament verfangen, dürfte einem Irrtum erliegen:

Die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist eine Ländersteuer (Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG), und auch die Haushalte der Länder – von welcher politischen Couleur sie auch immer dominiert werden – sind chronisch unterfinanziert. Darüber hinaus gibt es einen durchaus parteiübergreifenden Konsens in der Frage der Bewertung von Betriebsvermögen, nämlich dahingehend, dass diese zu ihrem sog. Teilwert erfasst werden sollen. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass das Finanzamt den Verkehrswert des Betriebsvermögens ermittelt, so, als würde der Betrieb im Ganzen veräußert.

Die zeitliche Brisanz des Problems ergibt sich vor allem aus einem Umstand, der nur wenigen bekannt ist: Der Gesetzgeber hat bereits den Entwurf eines komplett ausgearbeiteten neuen Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes in der Schublade liegen. Am 11.06.2004 hat das Land Schleswig-Holstein eine entsprechende Vorlage unter dem Namen „Gesetz zur Reform der Erbschaftsteuer (ErbStRefG)“ in den Bundesrat eingebracht (Bundesrat – Drucksache 422/04). Diesem Entwurf zufolge soll zukünftig das Betriebsvermögen für erbschaftsteuerliche Zwecke zum Teilwert berücksichtigt werden. § 45 Abs. 1 BewG in der Fassung des o. g. Entwurfes geht also von einer verkehrswertbezogenen Betrachtung unter Einbeziehung stiller Reserven aus.

Für den WBZ-Unternehmer bedeutet dies die Erfassung der Bestände im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Freilich geht auch der Gesetzesentwurf in seiner Begründung davon aus, dass die Liquidität kleiner und mittelständischer Unternehmen regelmäßig geschont werden soll (vgl. Bundesrat – Drucksache 422/04, S. 66). Über die Frage, wie die Entlastung erreicht werden soll, wird schon seit Jahren heftig gestritten. Die Vorschläge reichen von der Beteiligung des Staates als „Stiller Gesellschafter“, über Stundungsmöglichkeiten bis zur Einräumung großzügiger Freibeträge. Der Vorschlag aus Schleswig-Holstein sieht einen auf den ersten Blick großzügigen Freibetrag von 2 Millionen Euro vor. Allerdings steckt die Tücke im Detail, denn die Begünstigung gilt nur für inländische Betriebe, in denen der Erwerber einen Einfluss auf die Geschäftsführung hat. Steht also für den Erblasser der Versorgungsgesichtspunkt im Vordergrund – und nicht die Firmenfortführung – wird es unter Umständen teuer.

Berater haben nach der Vorstellung des Bundesgerichtshofs auch die Pflicht, auf sich abzeichnende Rechtsänderungen hinzuweisen. Es ist ein seit Jahrhunderten bestehender Wunsch von Menschen, den sozialen Aufstieg der Familie generationsübergreifend zu sichern. Wer für seine Nachkommen sorgen möchte, muss sorgfältig planen, die Nachfolge gestalten und die Tretminen im Steuerrecht kennen, auch solche, mit denen zukünftig zu rechnen ist.

Die Uhr tickt, denn nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird die Reaktion des Gesetzgebers vermutlich nicht lange auf sich warten lassen. Schnelles Handeln tut also not.

Autoren: Franz Dänekamp und Christina Schmitt-Zink, veröffentlicht in „der neue vertrieb 9/05, S. 38 ff.“

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