Haftung für kriminelle Subunternehmer im Affiliate-System – BGH stärkt Verbraucherschutz
Wer Zeitschriften – oder andere Waren – vertreibt, haftet auch für kriminelles (betrügerisches) Verhalten seiner Sub-Affiliates. Das ergibt sich aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.08.2011 (Az.: I ZR 134/10). Es konstituiert eine Art „Gefährdungshaftung“ im Affiliate-Marketing und zwingt Unternehmen im b2c-Geschäft verbraucherorientierte Prävention zu betreiben.
Ein Unternehmen im Zeitschriftenvertrieb hatte Kundendaten im sog. „Affiliate-System“ erhoben, eine internetbasierte Vertriebslösung, bei der ein kommerzieller Anbieter seine Vertriebspartner erfolgsorientiert durch eine Provision vergütet. Nach der beim Zeitschriftenvertrieb vorhandenen Datenlage hatte eine Kundin den „Harvard Business Manager“ bestellt, verifiziert durch eine Bestätigungs-E-Mail. Guten Gewissens übersandte der Zeitschriftenvertrieb eine „Auftragsbestätigung“ an die Kundin, die sodann durch eine Verbraucherzentrale mitteilen ließ, sie habe das Magazin nicht bestellt. Die Verbraucherzentrale machte einen Unterlassungsanspruch geltend, und zwar mit dem Argument, bereits die Ankündigung der Zusendung einer unbestellten Ware sei eine „unzumutbare Belästigung“ i. S. d. § 7 Abs. 1 UWG. Die erhobenen Kundendaten stellte die Verbraucherzentrale – zur Überraschung des Zeitschriftenvertriebs – als unzutreffend dar. Weder sei das Geburtsdatum der Kundin richtig, noch verfüge diese über einen Internet-Anschluss oder einen E-Mail-Account.
Der Zeitschriftenvertrieb stornierte die vermeintliche Kundenbestellung umgehend und stellte Recherchen zur Erhebung der Kundendaten an. Dabei wurde festgestellt, dass der E-Mail-Account der Kundin unmittelbar nach Übersendung der Bestätigungs-E-Mail gelöscht worden war. Ein nicht mehr zu ermittelnder Sub-Affiliate hatte Kundendaten manipuliert und eine Bestellung vorgetäuscht, um Provisionen zu erschleichen.
Da der Zeitschriftenvertrieb die Abmahnung der Verbraucherzentrale nicht akzeptieren wollte, stritten die Parteien in drei Instanzen um folgende Frage:
Können unverschuldete Belästigungen eines Verbrauchers dem Unternehmer auch dann zugerechnet werden, wenn der Unternehmer selbst Opfer betrügerischer Manipulationen wird?
Nachdem das Landgericht Heilbronn (21 O 70/09 KfH) dem Zeitschriftenvertrieb Recht gegeben hatte, hob das Oberlandesgericht Stuttgart (2 U 96/09) die Entscheidung auf und argumentierte wie folgt:
Der Unterlassungsanspruch der Verbraucherzentrale folge aus § 7 Abs. 1 S. 1 UWG. Die Zusendung der „Auftragsbestätigung“ sei objektiv eine „unzumutbare Belästigung“. Auf subjektive Faktoren – etwa die Erkennbarkeit der Belästigung für den Unternehmer – komme es nicht an. Die betrügerische Manipulation eines Dritten sei dem Zeitschriftenvertrieb auch zurechenbar. Mit der Teilnahme am Affiliate-Marketing sei eine Gefahrenquelle eröffnet worden, weshalb den Zeitschriftenvertrieb eine wettbewerbsrechtliche Verkehrssicherungspflicht und damit im Ergebnis eine Haftung treffe. Die grundrechtlich geschützte unternehmerische Freiheit habe gegenüber den Interessen der Verbraucher keinen Vorrang. Ein Geschäftsmodell müsse immer so beschaffen sein und unterhalten werden, dass ein Verbraucher von Belästigungen verschont werde.
Mit Urteil vom 17.08.2011 (Az.: I ZR 134/10) hat der Bundesgerichtshofs die Entscheidung des OLG Stuttgart bestätigt und den Unterlassungsanspruch der Verbraucherzentrale sowohl aus § 7 Abs. 1 S. 1 UWG als auch aus § 3 Abs. 3 UWG – Anhang Nr. 29 – hergeleitet. Der Irrtum des Zeitschriftenvertriebs sei irrelevant, denn er müsse sich jede Böswilligkeit der in seinem Geschäfts- und Verantwortungsbereich tätig gewordenen unbekannten Personen zurechnen lassen. Aus der zitierten Entscheidung des BGH geht hervor, dass sich dieser die detaillierten Begründungen des OLG Stuttgart zu Eigen macht.
Die Entscheidung des BGH unterstreicht zum wiederholten Male die Bedeutung des Verbraucherschutzes. Für Online-Händler dürfte es ratsam sein, in zweifacher Weise auf das Risiko zu reagieren:
Zum einen sollte die Empfehlungskette im Affiliate-System noch überschaubar sein, so dass die Qualität der Vermittlung überprüft werden kann. Zum anderen ist zu überlegen, ob Provisionen nicht erst dann fällig werden sollten, wenn der angeschriebene Verbraucher (Kunde) innerhalb eines gewissen Zeitraums keinen Widerspruch erklärt. Je nach Gestaltung des Provisionssystems erhöht oder verringert sich die Gefahr betrügerischer Manipulationen (Vertragsgestaltung).
Und schließlich – entgegen aller Aufregung – noch ein Hinweis zur Beruhigung:
Richtig teuer wird es erst dann, wenn im Wiederholungsfalle ein Ordnungsgeld droht. Eine Sanktion aus § 890 Abs. 1 ZPO setzt nämlich – anders als beim Unterlassungsanspruch – Verschulden voraus. Im Ordnungsgeldverfahren würden daher „die Karten neu gemischt“, denn das Verschulden des Zeitschriftenvertriebs dürfte nach Sachlage äußerst zweifelhaft sein.