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Stornierte Verträge – das Damoklesschwert über den Köpfen der Unternehmer

Das Damoklesschwert über den Köpfen der Unternehmer – oder – des einen Freud des anderen Leid

Damokles, so erzählt uns Cicero, beneidete den Tyrannen Dionys um das Glück, mit allen Gütern der Erde gesegnet zu sein. Der Tyrann erteilte dem Neider eine drastische Lehre. Er räumte für Damokles seinen Platz an der fürstlichen Tafel, ließ aber gleichzeitig ein Schwert an einem Pferdehaar über dem armen Tropf aufhängen.

Die Metapher vom Damoklesschwert kennzeichnet anschaulich die Situation des Unternehmers, der seinen Vertriebspartner Woche für Woche mit den sog. Storni belastet. Je nach Umfang des Vertriebes kommen über die Jahre Beträge (entgangene Provisionen) zusammen, die – sollten sie Gegenstand eines Rechtsstreits werden – die „fürstliche Tafel“ des Unternehmers arg in Bedrängnis bringen könnten.

Des einen Freud des anderen Leid, dies gilt auch für die Akteure des werbenden Buch- und Zeitschriftenhandels, die sich durchaus in wechselnden Rollen wiederfinden. Sie treten als Unternehmer auf, wenn sie Verträge für sich vermitteln lassen, wechseln aber nicht selten in die Rolle des Vertriebspartners und werden dann für andere Unternehmen tätig, manchmal auch branchenübergreifend. Entsprechend sind die Stornierungen in einem Fall das Damoklesschwert, nämlich eine Gefährdung der mühsam erwirtschafteten Renditen, im anderen Fall können sie Quelle beachtlichen Reichtums sein, unentdeckte Schätze im Dickicht der Abrechnungen.

Stornierungsprobleme ergeben sich für nahezu alle AGA- bzw. WBZ-Mitglieder. Ob nun Abonnements, Buchclub- oder Vereinsmitgliedschaften, Versicherungen, Stromlieferungsverträge oder Verträge über Telekommunikationsdienstleistungen (Telefonverträge) vermittelt werden, immer stellt sich die Frage, welcher Anteil dem Vertriebspartner am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmers zusteht: Welche Provisionen entfallen, welche nicht?

Zunächst verfolgen die Vertragspartner ein gleiches Interesse. Der Unternehmer ist am Zustandekommen des Vertrages mit dem Kunden interessiert und möchte die Vertragsbeziehung, die sich daraus ergebende Rendite, langfristig sichern (Haltbarkeit). Der Vertriebspartner verfolgt das gleiche Interesse, damit sein Provisionsanspruch entsteht und erhalten bleibt – so weit so gut.

Krach steht allerdings ins Haus, wenn dem Vertriebspartner die Stornierungsquote zu hoch erscheint, der Unternehmer die Sicherheitsleistung (Kautionskonto) erweitern möchte, das Kontokorrentverhältnis zwischen den Parteien ein Soll des Vertriebspartners ausweist oder sonstwie Streit entsteht, der das Bedürfnis weckt, sich mit den Details hinter den Kulissen zu beschäftigen. Nun stehen plötzlich Provisionsansprüche bis zur Verjährungsgrenze (vier Jahre) im Raum, Stornierungen werden bestritten und der Vertriebspartner bezweifelt, je eine ordnungsgemäße Abrechnung erhalten zu haben. Unmittelbar nach dem Prolog der Tragödie betritt sodann in der Regel der Advokat die Bühne des Geschehens. Während der Advokat als Deus ex machina des Vertriebspartners seine Folterwerkzeuge auspackt (in ihrer Reihenfolge: Abrechnung, Buchauszug, Auskunft, Bucheinsicht), sympathisiert der verunsicherte Unternehmer kurzfristig mit einer drastischen Maßnahme Friedrichs des Großen, – der hatte in einer berühmt gewordenen Cabinettsordre die Advokaten einfach abgeschafft. Dessen ungeachtet sucht auch er sich den Anwalt seines Vertrauens, erbittet eine einfache Antwort auf die Frage, wer denn nun Recht in dieser komplizierten Situation hat und verfällt nach der typischen Antwort des Juristen, das komme alles darauf an, endgültig in tiefe Depression.

In der Tat sind die Einzelheiten überaus kompliziert, und dieser Beitrag kann nicht mehr leisten, als dem Vertriebspartner und dem Unternehmer eine grobe Orientierungshilfe bei der Beantwortung der Frage zu vermitteln, ob die Euphorie oder die Depression berechtigt ist.

1. Abrechnung, Buchauszug, Auskunft, Bucheinsicht

Die in § 87 c HGB genannten Hilfsrechte des Vertriebspartners haben den Zweck, die Provisionsansprüche präzise zu ermitteln. Die Durchsetzung bisher nicht berücksichtigter Provisionsansprüche (auch WKZ-Ansprüche oder andere erfolgsbezogene Vergütungen) beginnt der gewissenhaft agierende Jurist mit diesem Instrumentarium, mit Hilfsansprüchen, die einklagbar sind und denen sich der Unternehmer nicht entziehen kann. Der Buchauszug muss alles enthalten, was die Unterlagen des Unternehmers über die fraglichen Geschäfte ausweisen und für die Berechnung der Provision von Bedeutung sein kann, z. B. Namen und Anschrift der Besteller, Art, Menge, Preis des gelieferten Produkts, Rückgaben und Nichtausführung von Geschäften sowie die Gründe dafür (BGH NJW 81, 457, 96, 588; WM 82, 152; 89, 1073). Je nach dem, wie die Bücher geführt worden sind, ist bereits der klug eingesetzte Anspruch auf den Buchauszug eine kaum zu überwindende Klippe für den Unternehmer. Nicht selten ist sie für ihn Veranlassung, im Rechtsstreit die weiße Fahne zu hissen und in Form eines zumeist kostspieligen Vergleichs eine Teilkapitulation anzukündigen. Dies umso mehr, als er die (evtl. auch hohen) Kosten des Buchauszugs trägt (BGHZ 56, 296).

Gegen die Buchauszugs- und Abrechnungsansprüche ist kein Kraut gewachsen. Im Handelsvertreter- oder Vertriebsvertrag können diese Hilfsansprüche nicht ausgeschlossen werden (§ 87 c Abs. 5 HGB). Spätestens jetzt dämmert dem gebeutelten Unternehmer, dass die Kassandrarufe eines Heidelberger Rechtsanwalts ihren Sinn hatten. Dessen Empfehlung (vgl. Dänekamp, Handelsvertretervertrag und Unternehmerrisiko, Der Neue Vertrieb, Sondernummer April 1997, S. 30 ff.), Abrechnungen in regelmäßigen Zeitabständen mit einem Saldoanerkenntnis zu versehen und vom Vertriebspartner unterzeichnen zu lassen, verhallen zumeist ungehört wie die Warnungen der trojanischen Seherin Kassandra.

Das schriftliche Saldoanerkenntnis, also die rechnerische Feststellung des status quo durch schriftliche Vereinbarung, verbessert die Position des Unternehmers im Abrechnungsstreit ungemein, denn wenn sich die Parteien ausdrücklich darauf geeinigt haben, dass das Abrechnungsergebnis zutreffend ermittelt worden ist, kann eben dieses Ergebnis später nicht ohne weiteres in Frage gestellt werden; umgekehrt hat der Vertriebspartner Veranlassung, ein derartiges Anerkenntnis nicht unbesehen und ohne detaillierte Prüfung zu unterzeichnen, will er seine Ansprüche aus § 87 c HGB nicht verlieren.

2. Stornierte Verträge und Provisionsanspruch

Liegt das Ergebnis des Buchauszugs bzw. der Bucheinsicht vor, ist der Unternehmer seinen Informationspflichten nachgekommen, so beginnt die Detailarbeit.

Der Anwalt prüft, ob dem Vertriebspartner (Handelsvertreter) zu Unrecht Provisionen rückberechnet oder provisionspflichtige Geschäfte ignoriert wurden.

Wer nun hofft, das Durchforsten der Aktenberge werde schon den gleichen Erfolg haben wie die Bemühungen des Frevlers Sisyphus, um weiter aus den Bildern der griechischen Mythologie zu schöpfen, wird bald enttäuscht sein. Der findige Jurist arbeitet mit der gleichen Erfolgsaussicht wie der Pathologe auf der Suche nach dem ärztlichen Kunstfehler: Meistens findet man etwas.

Beschäftigt man sich ein wenig mit den vergleichsweise komplizierten Provisionsregelungen des HGB, wird man recht bald ein sicheres Gespür für die „Tretminen“ im Vertriebsgeschäft entwickeln.

Auf dem Weg von der Entstehung bis zur gefestigten Rechtsposition durchläuft der Provisionsanspruch mehrere Phasen. Im Folgenden soll auf die gesetzliche Situation abgestellt werden. Einzelvertragliche Vereinbarungen können, soweit sie wirksam sind, zu anderen Ergebnissen führen:

a) Erste Phase

Nach § 87 Abs. 1 HGB hat der Vertriebspartner (Handelsvertreter) Anspruch auf Provision für alle während der Vertragszeit von ihm vermittelten Geschäfte.

Ist also der Versicherungsvertrag, die Buch- oder Vereinsmitgliedschaft vom Unternehmer bestätigt worden, hat das Telekommunikationsunternehmen, das Unternehmen in der Stromwirtschaft den Vertrag durch eine entsprechende Willenserklärung gegenüber dem Kunden akzeptiert, so entsteht eine sog. Provisionsanwartschaft. Nicht selten entzündet sich bereits hier der Streit, weil die Vertragsbeziehung gar nicht erst entsteht.

Der Vertriebspartner (Handelsvertreter) wirft dem Unternehmer etwa vor, er habe aus nicht nachvollziehbaren Gründen den Kunden nicht akzeptiert, er habe durch eine unzureichende Betriebsorganisation dazu beigetragen, dass der Vertrag nicht zu Stande gekommen sei. Beispiele dafür sind vielfältig: Der Vertriebspartner (Handelsvertreter) kann das Ergebnis der Bonitätsprüfung nicht nachvollziehen, der Unternehmer reagiert zu spät auf den Lieferungswunsch des Kunden, das sog. Begrüßungsschreiben oder die Vertragsbestätigung erreicht den Kunden mit großen Zeitverzögerungen, die Erstbestellung (Buchclubgeschäft) erfolgt nicht rechtzeitig etc..

Im Grundsatz gilt: Der Vertriebspartner (Handelsvertreter) muss beweisen, dass er einen Vertrag erfolgreich vermittelt hat. Der Unternehmer entscheidet allein, ob er den Vertrag mit dem Kunden akzeptiert oder nicht; der Vertriebspartner (Handelsvertreter) kann grundsätzlich keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Unternehmers nehmen (BGHZ 26, 161; 49, 39; 93, 38).

Andererseits: Der Unternehmer hat gegenüber dem Vertriebspartner (Handelsvertreter) Rücksichtnahmepflichten, denn dieser erbringt teilweise recht hohe Aufwendungen für die Vermittlungstätigkeit. Es müssen daher vernünftige und einleuchtende Gründe vorliegen, wenn der Unternehmer durch Ablehnung des Geschäfts dem Vertriebspartner (Handelsvertreter) den Lohn für seine Bemühungen verkürzt (BGHZ, a. a. O.). Er hat außerdem seinen Betrieb so zu organisieren, dass Verträge mit an sich erwünschten Kunden auch zu Stande kommen. Verletzt der Unternehmer diese Verpflichtungen, so macht er sich schadensersatzpflichtig und haftet aus sog. positiver Vertragsverletzung (BGH, BB 59, 865; 60, 1222).

Ergeben sich also in der ersten Phase (Vorphase) Probleme, so stellt sich ausschließlich die Frage nach Schadensersatzansprüchen, denn für einen Provisionsanspruch fehlen die gesetzlichen bzw. vertraglichen Voraussetzungen.

b) Zweite Phase

Die zweite Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass der Vertrag zu Stande gekommen ist. Der Vertriebspartner (Handelsvertreter) hat nun einen aufschiebend bedingten Provisionsanspruch (Anwartschaft). Dieser wird dadurch zum „Vollrecht“, dass entweder der Unternehmer den vermittelten Vertrag erfüllt, also Zeitschriften, Bücher, Strom etc. liefert, oder der Kunde seine Leistung erbringt, nämlich zahlt (§ 87 a Abs. 1 HGB). Besonderheiten gelten in der Versicherungswirtschaft, denn hier ist der Anspruch auf Provision grundsätzlich von der Prämienzahlung abhängig (§ 92 HGB).

Ergibt sich also aus dem Buchauszug, dass entweder der Unternehmer oder der Dritte erfüllt hat, Versicherungsprämien gezahlt wurden, so steht zunächst der Provisionsanspruch fest. Für die Unternehmen des werbenden Buch- und Zeitschriftenhandels ist selbstverständlich von Bedeutung, dass die vermittelten Verträge sukzessiv erfüllt werden. Ein Provisionsanspruch entsteht zumindest, soweit die Verträge erfüllt wurden, und dieser „Teilprovisionsanspruch“ kann auch durch Vertrag nicht ausgeschlossen werden (§ 87 a Abs. 1 S. 3 HGB). Dies ist ein unabdingbarer Grundsatz, der auch für alle vermittelten Sukzessivlieferungs-, Bezugs- und Dienstleistungsverträge von Bedeutung ist. Aus diesem Grund sind auch die in den Verträgen regelmäßig vorgesehenen Haftungszeiträume problematisch (vgl. dazu Dänekamp, Der Neue Vertrieb, a. a. O., S. 32).

Von Bedeutung ist in der zweiten Phase ferner die Situation, dass der – etwa vorleistungspflichtige – Unternehmer den Vertrag nicht erfüllt. In dieser Situation muss nämlich der Unternehmer den Nachweis führen, dass die Nichtausführung nicht von ihm verschuldet wurde, eine Beweislastverteilung, die besonders für die Versicherungswirtschaft von Bedeutung ist (vgl. BGH DB 1983, 2135).

c) Dritte Phase

Gänzlich schwierig wird die Situation des Unternehmers – entsprechend günstig die des Vertriebspartners (Handelsvertreters) – wenn er im Rahmen des Streits über die Berechtigung von Stornierungen geltend macht, er habe seine vertraglichen Leistungen zwar erbracht, die Zahlungen des Kunden seien jedoch ausgeblieben.

In diesem Fall muss der Unternehmer den Beweis führen, dass er alles ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche durchzusetzen. Auch hier wirkt sich die Verpflichtung zur Rücksichtnahme gegenüber dem Vertriebspartner (Handelsvertreter) aus.

Für den Warenvertreter gilt, dass der Unternehmer grundsätzlich seine Rechte gegenüber dem Kunden einklagen muss (Baumbach/Hopt, HGB-Kommentar, § 87 a, Rdnr. 15; OLG Zelle, NJW 72, 879). Von diesem Grundsatz hat allerdings der BGH für die sog. „Massengüter des täglichen Bedarfs mit geringem Wert des Einzelstücks“ eine wichtige Ausnahme gemacht (BGH, BB 1971, 1430 ff.). Eine Klageerhebung ist in diesen Fällen unzumutbar. Allerdings ist es mit Rücksicht auf die Interessen des Vertriebspartners (Handelsvertreters) geboten, ein ordnungsgemäßes Mahnverfahren durchzuführen. Unmittelbare Konsequenz aus dieser Rechtsprechung ist also die Empfehlung, die Verfolgung der Zahlungsansprüche effektiv zu organisieren oder auf professionelle Verwaltungsfirmen zu übertragen, die EDV-gestützt und je nach Qualität ihrer Arbeit dazu beitragen, dass dem Unternehmer ein ganz erhebliches Prozessrisiko im Stornorechtsstreit abgenommen wird; die Bedeutung der Verwaltungsfirmen darf mithin nicht unterschätzt werden, insbesondere für die Zeitschriftenbranche.

Zumindest Nachlässigkeiten in diesem Bereich begründen die Verpflichtung des Unternehmers, dem Vertriebspartner (Handelsvertreter) die aus der Versicherungsbranche bekannte Stornogefahrmitteilung zukommen zu lassen. Über Umfang und Einzelheiten dieser Unterrichtungspflicht hat sich eine weitgefächerte Rechtsprechung entwickelt (z. B. LG Bochum, VW 1979, S. 191; LG Freiburg, VersR 1980, S. 329; LG Hildesheim, VersR 1980, S. 330; LG Baden-Baden, VersR 1981, S. 776; LAG Hamm, VersR 1981, S. 1054; OLG Karlsruhe, VersR 1982, S. 267; LAG Frankfurt, VW 1982, S. 238; OLG Karlsruhe, VersR 1989, S. 511). Die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze sind meines Erachtens auch auf andere Branchen anwendbar, und zwar umso eher, je intensiver der Kontakt des Vertriebspartners (Handelsvertreters) zum Kunden ist. Mit wachsender Kundennähe verbessert sich dessen Einflussmöglichkeit und damit auch die Chance, den „notleidenden“ Vertrag zu erhalten.

Fazit:

Die Handhabung der Storni muss umsichtig erfolgen. Wer Vermögensverluste vermeiden will, muss mit seinem Vertriebspartner den Konsens suchen und regelmäßig die Abrechnungsergebnisse durch schriftliche Stornoaner-kenntnisse bestätigen lassen. Dies gilt sowohl für das Verhältnis zwischen Unternehmer und Vertriebspartner als auch für das Verhältnis zwischen Vertriebspartner und Untervertriebspartner.

Bei allzu großer Sorglosigkeit droht an der „fürstlichen Tafel“ des Unternehmers ein existenzielles Problem, und unter dem Damoklesschwert bleibt dann nur die Erkenntnis:

„Bei aller Herrlichkeit stört ihn des Todes Schrecken, und lässt ihn nichts als teures Elend schmecken.“ (Christian Fürchtegott Gellert).

Autor: Wolfgang Lehner, veröffentlicht in „der neue vertrieb 6/00, S. 44 ff.“

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