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Über den Wolken – von der vermeintlichen Freiheit im Handel via Internet

Die Begriffe E-Commerce und Internet beflügeln die Fantasien der Menschen und haben eine Euphorie ausgelöst, die an den amerikanischen Goldrausch des 19. Jahrhunderts erinnert. Wir befinden uns auf dem Weg in die digitale Revolution. Längst hat die Thematik für die Staats- und Regierungschefs Europas oberste Priorität, wie sich unlängst auf dem Gipfeltreffen in Lissabon zeigte. Entsprechend entwickelt die Brüsseler EU-Bürokratie Initiativen, erarbeitet Studien und Richtlinien, die die nationalen Gesetzgeber nicht zur Ruhe kommen lassen.

Unternehmer ohne Internet-Ambitionen stellen sich die Frage, ob sie den Zug in das gelobte Land verpassen. Zweifler indessen sehen sich von manchen Entwicklungen an der Börse bestätigt. Allein der Begriff „Internetwerte“ löst dort Reaktionen aus, die mit dem Handeln vernünftiger Zeitgenossen nur noch wenig zu tun haben und Träume platzen, weil manche Aktien – gemessen an ihrem tatsächlichen Wert – eher der virtuellen, nämlich künstlich erzeugten Welt angehören. Wer allerdings die Initiativen der „Global Player“ als Marktbarometer interpretiert, muss über Handlungsbedarf nachdenken.

So hat sich beispielsweise die Bertelsmann AG wie kaum ein anderes Unternehmen dem Thema Multimedia verschrieben und in die eigene Internet-Präsenz investiert.

„Wer nicht schnell genug ist, den bestraft der Markt“, schreibt Bertelsmannschef Thomas Middelhoff in der Ausgabe Multimedia und Recht 2/1998.

Die Zahlen geben ihm Recht:

Weltweit haben über 200 Millionen Menschen Zugang zum Internet. Deutschland liegt mit fast 10 Millionen Nutzern auf Platz 2 im europäischen Vergleich; jeder achte Deutsche ist bereits online. Golem Network News (www.gnn.de) belegt unter dem 21.12.1999 mit einer Studie der Marktforscher Forrester, dass Deutschland spätestens im Jahre 2004 der größte E-Commerce-Markt in Westeuropa sein wird, und zwar mit großem Abstand vor Großbritannien, Frankreich und Italien. Prognostiziert wird ein Umsatz von 406 Milliarden Euro und eine jährliche Wachstumsrate von 100 %.

In Deutschland bestellen schon jetzt jährlich rund 3 Millionen Menschen Produkte via Internet.

Der WBZ kann sich dieser Entwicklung schon deswegen nicht verschließen, weil die Print-Medien die mit Abstand gefragtesten Artikel sind, Produkte also, die sich offenbar in besonderer Weise für den E-Commerce eignen.

Es verwundert daher nicht, dass die großen deutschen Verlage ebenso im Internet präsent sind wie viele Unternehmen im werbenden Buch- und Zeitschriftenhandel.

Zunehmend – bei manchen allerdings reichlich spät – wird in der Internet-Euphorie die Frage gestellt, welchen rechtlichen Regeln das E-Commerce eigentlich unterworfen ist.

Kann ich bedenkenlos meine Domain, also meine individuelle Internetadresse, nutzen? Ist der via Internet geschlossene Vertrag wirksam? Wie lässt sich der Vertragsabschluss beweisen? Sind meine Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Internet-Geschäften wirksam in den Vertrag einbezogen worden? Ist meine Homepage wettbewerbsrechtlich zu beanstanden?

Wer solchermaßen sensibilisiert durch das World Wide Web surft, traut bald seinen eigenen Augen nicht mehr. Neben dem Outlook Express, dem E-Mail-Programm der Firma Microsoft, existiert offenbar auch ein Outlaw Express, auf den man nach dem Motto aufspringt: Erlaubt ist, was Spaß macht. Die Freiheit im Internet, so erscheint es auf den ersten Blick, gleicht derjenigen über den Wolken. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Neben dem kalkulierten Rechtsbruch ist eine derartige Sorglosigkeit im Umgang mit rechtlichen Fragen zu beobachten, dass sich der Schluss aufdrängt: Die virtuelle Welt ist so grenzenlos wie die Naivität derer, die sich darin bewegen.

Nicht ganz ohne Grund reagieren daher manche Branchen, die ebenfalls dem WBZ zuzurechnen sind, mit Zurückhaltung. So nutzen 90 % der Finanzdienstleister – mithin auch die Versicherer – die Möglichkeiten des Internets kaum aus, wie unlängst in einem Beitrag „Banken und Versicherungen – wie steht es um den Service im Netz?“, (Electronik Commerce InfoNet / www.ecin.de) dargestellt wurde. Die Versicherungen verfügen lediglich über ein beschränktes Angebot im Internet, das sich vorwiegend auf Produktbeschreibungen konzentriert. Die Furcht vor Datenmissbrauch bremst die Geschäfte ebenso sehr wie die bestehende rechtliche Unsicherheit.

Die Furcht ist insoweit berechtigt, als das Internet das Recht revolutionieren wird und der Gesetzgeber kaum in der Lage ist, mit den technischen Entwicklungen Schritt zu halten. Als eine der ersten Konsequenzen der Internet-Revolution sollen das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung abgeschafft werden, weil die Bundesrepublik eine weitere Richtlinie der Europäischen Union in nationales Recht umsetzen muss. Danach wird beim elektronischen Handel zukünftig die Rechtsgrundlage desjenigen Landes gelten, in dem der Anbieter einer Ware oder Dienstleistung seinen Firmensitz hat. Dieses „Herkunftslandprinzip“ würde eklatante Nachteile deutscher Anbieter zur Folge haben, denn in keinem anderen Land gelten derart strenge Wettbewerbsregeln und nirgendwo sonst spielt der Verbraucherschutz eine derart große Rolle.

Zwangsläufig wird E-Commerce somit zur weiteren Rechtsvereinheitlichung in Europa beitragen. In der Zwischenzeit wird jedoch das deutsche Recht im E-Commerce ein Stolperstein sein.

Dies soll ein für die WBZ-Unternehmen relevantes Beispiel verdeutlichen:

Wer eine Zeitung oder Zeitschrift abonnieren will, kann dies via Internet tun. Alle großen deutschen Verlage und auch WBZ-Unternehmen bieten diese Produkte über das Internet an. Der Abonnent wählt das Produkt, trägt in einer vorgefertigten Maske seine persönlichen Daten ein, wird in der Regel über das Widerrufsrecht belehrt und sodann unter dem Vermerk „gezeichnet (Namenseintrag gilt als Unterschrift)“ nochmals aufgefordert, seinen Namen einzutragen.

Was offenbar den Unternehmen nicht bewusst ist: Der Vertrag ist unwirksam, das verwendete Formular wettbewerbswidrig. Abonnementbestellungen unterfallen dem Verbraucherkreditgesetz, denn der monatliche Bezug von Zeitungen oder Zeitschriften betrifft die regelmäßige Lieferung gleichartiger Sachen (BGH NJW 1987, 124, seinerzeit noch zu §§ 1 c Nr. 2, 1 b AbzG). Dies hat vor allem zwei Konsequenzen: Der Vertrag ist nach den §§ 2, 4 Abs. 1 S. 1 VerbrKrG schriftlich zu schließen. Ferner ist der Verbraucher in einer drucktechnisch deutlich gestalteten und gesondert zu unterschreibenden Belehrung auf das Widerrufsrecht hinzuweisen (§§ 2, 7 Abs. 2 VerbrKrG).

Der Schriftform des § 126 BGB genügt die elektronisch übermittelte Erklärung nicht, denn dies würde voraussetzen, dass eine Urkunde vom Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet wird.

Damit ist der vorerwähnte Hinweis „Namenseintrag gilt als Unterschrift“ ein frommer Wunsch und schlicht falsch.

Selbstverständlich gibt es längst Verfahren, um Identitätsnachweise zu ermöglichen. Mit einem „secret key“ verschlüsselt der Aussteller der Erklärung seine Nachricht, die vom Empfänger sodann mit Hilfe eines allgemein zugänglichen „public key“ gelesen werden kann. Das Verschlüsselungsverfahren ist im Signaturgesetz (SigG) vom 22.07.1997 geregelt; allerdings hat sich der deutsche Gesetzgeber bisher nicht dazu entschließen können, die Signatur der Schriftform gleichzusetzen. Als Konsequenz aus diesen Problemen hat am 22.04.1999 der Europäische Rat eine Signaturrichtlinie erlassen, die innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden muss. Erst dann wird es möglich sein, Verträge via Internet zu schließen, die dem Schriftformerfordernis genügen.

Bis dahin besteht die Gefahr, dass derartige Internet-Formulare Gegenstand von Abmahnverfahren werden, ganz abgesehen davon, dass eine Inkassotätigkeit im Falle ausbleibender Zahlungen dann höchst problematisch sein dürfte, wenn der zu Grunde liegende Vertrag eindeutig unwirksam ist. Dass auch per Mausklick elektronisch abgesandte Zeitschriftenbestellungen in vollem Umfang den Erfordernissen des VerbrKrG genügen müssen, hat das LG München mit seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 13.08.1998 (7 O 22251/97) bestätigt. Ein Eldorado für Verbraucherschützer und abmahnwütige Advokaten tut sich auf; nur entdeckt wurde es offenbar noch nicht. An dieser Rechtslage wird sich auch dann nichts ändern, wenn bis zum Ablauf des 4.Juni 2000 die EG-Fernabsatzrichtlinie in nationales Recht umgesetzt wird. Der entsprechende Gesetzentwurf(Bundestagsdrucksache 14/2658) sieht eine Erweiterung des Widerrufsrechts vor; das Schriftformerfordernis ist in vollem Umfang beibehalten worden.

Es ist nicht Sinn dieses Beitrags, den E-Commerce-Skeptikern das Wort zu reden oder die Internet-Euphorie zu bremsen. Die moderne Telekommunikation bietet enorme Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Allerdings verlangt sie neben der Bereitstellung von technischem Know How und betriebswirtschaftlichen Überlegungen auch Sensibilität für rechtliche Rahmenbedingungen. Soweit noch Unsicherheiten bestehen, ist dies kein Grund, eine Internet-Präsenz zu verschieben. Es gibt durchaus Möglichkeiten, Lösungen im Rahmen des bestehenden Rechts zu finden – Kreativität vorausgesetzt!

Autor: Franz Dänekamp, veröffentlicht in „der neue vertrieb 6/00, S. 44 ff.“

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